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Epilepsie

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Epilepsie

Fallsucht, Krampfleiden, Epilepsia sind weitere Bezeichnungen für die Epilepsie. Die Epilepsie dient als Oberbegriff für den Elementaranfall und das Anfallsleiden verschiedener Ursachen.  Zum Beispiel infolge hirnorganischer Erkrankungen (symptomatische Epilepsie) oder ohne nachweisbare Ursachen (genuine Epilepsie). Sie tritt als Gelegenheitsanfall oder als wiederholte Anfall auf. 5% aller Menschen haben in ihrem Leben mindestens einen Gelegenheitsanfall. Bei Kindern kommen generalisierte, beim Erwachsenen fokale Epilepsien vermehrt vor. Es handelt sich im Allgemeinen um eine Fehlfunktion des Gehirns. Die Nervenzellen entladen sich dabei sehr stark. Da die Erkrankung ein Oberbegriff ist, gibt es verschiedene Arten und Formen der Epilepsie.

Leitmerkmale: Bewusstseinsstörung, Versteifungen, Krämpfe, Überreaktionen
Definition Bei der Epilepsie handelt es sich um einen Sammelbegriff für verschiedene Funktionsstörungen des Gehirns, bei denen die Erregung überschießt

Definition der International League Against Epilepsy
  1. mindestens zwei epileptische Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden
  2. nur ein nicht- provozierter Anfall tritt auf, aber die Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle in den nächsten 10 Jahren lieg bei mindestens 60 Prozent
  3. es liegt ein Epilepsie-Syndrom vor
Weitere Bezeichnungen
(Synonyme)
  • Fallsucht
  • Krampfleiden
  • Epilepsia
Einteilung
  • nach Ursachen:
    • symptomatische Epilepsie: durch Hirnschädigung, z.B. Schädel-Hirn-Trauma (ca. 5–15%), Enzephalitis, Multiple Sklerose, Hirntumoren (ca. 8–22%), perinatale Schäden (ca. 10–14%), Schlaganfall, Blutung, Infektionen, Vergiftungen, Alkoholismus, Urämie, Hypoglykämie
    • genuine Epilepsie (ca. 50% der Fälle): durch familiäre Belastung (hereditäre Epilepsie), frühkindlicher Hirnschaden oder ohne erkennbare Ursache (vor dem 20. Lebensjahr)

  • nach Anfallstyp:
    • generalisierte Anfälle: es gibt keinen Hinweis auf eine anatomische Lokalisation des Ausbruchs des Krampfes, der Anfall findet in beiden Hemisphären statt
      • Gelegenheitskrämpfe: einmalige oder seltene Krampfanfälle (1–2/Jahr) meist im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Schlafentzug, Flackerlichtstimulation (Fernsehen, Diskothek); kann bei jedem Menschen, auch ohne Epilepsie, auftreten
      • Grand mal („großes Übel“), Petit mal („kleines Übel“): übersteuerte Spontanentladungen der Nervenzellen im gesamten Gehirn, vorausgehende Hinweise (Prodromalzeichen, Aura), keine anatomische Störung nachweisbar
    • fokale (partielle) Anfälle: der Anfall spielt sich in einer bestimmten Region des Gehirns ab und beschränkt sich auf das Gebiet (auf bestimmte Muskelgruppen begrenzte, von einem bestimmten Bezirk der Hirnrinde ausgehende Anfälle)
      • mit motorischen Störungen: atonische/ klonische Anfälle, Automatismen
      • ohne motorische Störungen: autonome Anfälle
    • multiple Anfallsformen: generalisierte und fokale Anfälle treten bei einem Patienten auf
Unterteilung
  • generalisierte Krämpfe:
    • benigne Neugeborenenkrämpfe: vererbt oder auch nicht, Anfälle während des 2-7. Lebenstages, mit Atemstillständen, klonisch Zuckungen, bessern sich spontan
    • Absence-Epilepsie: meist im Kindesalter, kurze Abwesenheitszustände (5- 15 Sec.), Erinnerungslücke, gute Prognose
    • juvenile myoklonische Epilepsie: in der Jugendzeit, kurze Muskelzuckungen (Arme, Schulter), Bewusstsein bleibt erhalten, führen zu Tonischen Krämpfen
    • Epilepsien auf Reize: durch visuelle Reize (Flackerlicht, Videospiele)
    • symptomatische Epilepsien: nach Gehirnschädigung (Infektionen, Schädel-Hirn-Trauma), Stoffwechselerkrankungen, Tumoren/chronische Infektionen im Zentralnervensystem

  • fokale Krämpfe:
    • Schläfenlappenepilepsie: durch temporale Sklerose, aufsteigende unangenehme Gefühle in der Magengegend, Bewusstseinsverlust, Handbewegungen (Medikamente, Operation)
    • Stirnlappenepilepsie: kurze Anfälle (v.a. im Schlaf), Verwirrtheit nach dem Anfall fehlt (Medikamente)
    • Scheitellappenepilepsie: Missempfindungen (Taubheitsgefühl, Kribbeln), selten Schmerzen (Medikamente)
    • Hinterhauptslappenepilepsie: visuelle Halluzinationen (blitzende Flecken, geometrische Figuren), Blindheit, selten Augenbewegungen
Pathogenese Die Kommunikation der Neurone im Gehirn ist gestört, wodurch es zu überschießenden Nervenimpulsen (synchronen Entladungen von Neuronengruppen im Gehirn) kommt, die Fehlfunktionen am Körper auslösen

Auslöser
  • allgemeine Auslöser: Schlafentzug, Überanstrengung, starke Sonneneinstrahlung, Stress, Fieber, Flackerlicht
  • Krankheiten: schwere Infektionen, Stoffwechselstörungen, Kopfverletzungen, Hirntumoren, Hypoglykämie, Hypokalzämie
  • Noxen: übermäßiger Alkoholkonsum, Drogen, Medikamente (Penicillin), Vergiftungen, Impfungen
Ursachen
  • Eexogene Ursachen:
    • Allgemein: Gehirnverletzungen, Schlafentzug, Alkohol- / Medikamentenentzug, Geräusch-/Lichtblitze (Computer, Disco), psychische Erregung, Hypoxie
    • Medikamente: Lidocain, Tuberkulostatika, Theophyllin, Lokalanästhetika, Antihistaminika, Antidepressiva, Neuroleptika
    • Drogen, Vergiftungen

  • endogene Ursachen:
    • Stoffwechselstörungen: Hypoglykämie, Elektrolytentgleisungen (Hypokalzämie), Urämie, hepatische Enzephalopathie
    • ZNS-Erkrankungen: Schädel-Hirn-Trauma, Tumoren, Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess, zerebrovaskuläre Erkrankungen (embolische Hirninfarkte, Blutungen), Multiple Sklerose, degenerative ZNS-Erkrankungen
    • Fieber
Symptome
  • Allgemeinsymptome: Zuckungen, Krämpfe, Stereotypsien, Bewusstseinstrübungen, vegetative Störungen
Symptome:
Generalisierte
Krämpfe (großes Übel), generalisierter tonisch-klonischer Anfall
Vorkommen beim Erwachsenen:

  • Prodromalstadium (Stunden-Tage vorher): Reizbarkeit, Schwäche, Verstimmung, Kopfschmerzen
  • Aura (10-15%): sensorische Sensationen (Gefühl, Geruch, Geschmack, Lichtblitze), können Hinweis auf die betroffene Hirnregion geben
  • tonische Phase (Verkrampfung), Dauer 10-30 Sek.:
    • tonischer Schrei („Initialschrei), Hinstürzen (durch Bewusstseinsverlust 95% der Fälle), Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur (evtl. geöffnete Augen und Mund)
    • tonische Krämpfe mit überstreckten Beinen („versteifen“), gebeugten oder gestreckten Armen
    • vegetative Symptome: Blutdruck-Anstieg, Tachykardie, fehlende Lichtreaktion der Pupillen (Augenstarre), Apnoe mit Blaufärbung (ca. 20–30 Sec.), Blässe

  • konische Phase (Zuckungen), Dauer 30-50 Sek.:
    • rhythmische Muskelzuckungen an ganzen Körper einhergehend mit forcierter Ausatmung und Austritt von schaumigem (bei Zungenbiss auch blutiger Speichel)
    • Schaum vor dem Mund (Zungen-/Wangenbiss), Patient schnappt nach Luft
    • Einnässen (35% der Fälle)

  • Abklingphase
    • stundenlanger Schlaf („Terminalschlaf“), Dämmerzustand
    • Patient erinnert sich nicht an Anfall (Amnesie für die Dauer des gesamten Krampfanfalles)
    • Pupille weit/starr, Muskeleigenreflexe fehlen, Babinski positiv

  • später
    • Kopfschmerzen, Muskelkater, Benommenheit
Symptome:
Petit mal (kleines Übel), generalisierte Anfälle, v.a. Kinder, Säuglinge
Vorkommen: v.a. bei Kindern, Säuglingen:

  • Absenzen:
    • Dauer 5–15 Sek. bis zu 100x/Tag meist nach Aufwachen oder am Vormittag, v.a. Kinder: 6–10 Jahre; unauffälliges Verhalten zwischen den Anfällen
    • Allgemeinsymptome: flüchtige Anfälle von Bewusstseinstrübungen, ruckartige Bewegungen des Kopfes, Arme, Beine (verlieren Gegenstände, Knallen mit dem Kopf auf)
    • Blässe, starrer, abwesender Blick und häufig Innehalten der Tätigkeit (die Betroffene reagieren nicht auf Umweltreize)
    • kurz andauernde Bewusstseinsstörungen ohne motorische oder vegetative Störungen (Sekunden-Minuten, Patient wird nicht ohnmächtig)
    • Automatismen: ruckartige Bewegungen von Kopf, Armen, Beinen (verlieren Gegenstände, Knallen mit dem Kopf auf)

  • Blitz-Nick-Salaam-Syndrom (3-8 Monate):
    • bedingt durch Hirnschädigungen und Stoffwechselerkrankungen; schlechte Prognose
    • ruckartige (Blitz) Vorwärtsbewegung des Kopfs (Nick)
    • blitzartige generalisierte Muskelzuckungen, langsame tonische Verkrampfungen, Kopf-/Oberkörperbeugung
    • Einschlagen des Arms vor die Brust (wie beim Salaam-Gruß)
    • Bewusstseinstrübung

  • Myoklonischastatische Anfälle (ab 4.Lebensjahr): schlechte Prognose bei frühem Beginn:
    • plötzlicher Tonusverlust (Kind stürzt wie vom Blitz getroffen zu Boden)
    • Muskelzuckungen oder Atonie
    • Beugung der Arme
    • Bewegung von Muskeln des Gesichts und Munds

  • Impuls-Petit-mal- Krämpfe (12-18.Lebensjahr): erstmals in der Pubertät (genetisch bedingt), gute Prognose
    • massive Muskelzuckungen,
    • Patient stürzt nicht
    • leichte Bewusstseinsstörung
Symptome:
Fokale Anfälle
Nur einzelne Hirnareale sind von der epileptischen Erregung betroffen, die Symptome beschränken sich auf diese Region, das Bewusstsein bleibt erhalten. Diese Anfälle können in jedem Lebensalter einsetzten und meist durch hirnorganische Veränderungen sekundär generalisieren:

  • einfache fokale Anfälle: Zuckungen und/oder Parästhesien in der vom betroffenen Hirnbezirk versorgten Körperregion (z.B. Hand)
    • Jackson Epilepsie: motorisch und sensible Anfälle, die an bestimmten Körperregion beginnen, breiten sich dann über eine Körperhälfte aus, erhaltenes Bewusstsein (evtl. aber auch nur Missempfindungen die sich über den Körper ausdehnen)
    • Adversiv-Anfälle: typische Wendebewegungen; Patient blickt zur Seite, dreht den Kopf zum angehobenen Arm und verharrt in dieser „Fechter-Stellung“

  • komplexe motorische Anfälle: entwickeln sich aus einfachen fokalen Anfällen, zusätzlich Bewusstseinsstörung; z.B. psychomotorische Epilepsie: nach einer Aura kommt es zur Bewusstseinstrübung, Dämmerzustand kurz oder über Tage
Diagnose Anamnese: Augenzeugen, Erinnerung des Patienten (Aura), Beginn/Dauer des Anfalls, Einnässen/-koten, Verletzungen beim Anfall (Zungenbiss), Familienanamnese, auslösende Faktoren, Vorerkrankungen (zerebrovaskuläre Erkrankungen, Schädel-Hirn-Trauma, Meningitiden, Tumoren, frühere Anfälle, Fieberkrämpfe)
Labor: Blutbild, Blutzucker, Leberenzyme, Elektrolyte, Kreatinin, Gerinnung, Urinstatus
Apparative Diagnostik: EEG, CT, Liquor, MRT, Magnetoenzephalographie

Differentialdiagnose
  • Krämpfe: Gelegenheitsanfall, Fieberkrampf bei Kindern, psychogene Anfälle
  • vasal: Synkopen, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt
  • pulmonal: Hyperventilations-Syndrom
  • Entgleisungen: Hypoglykämie (Müdigkeit, Zittern, Schweißausbruch), Hypokalzämie, Hypernatriämie, Alkoholentzug, Vergiftungen
  • zentral: Halluzinationen, Tetanie, Tumoren, Blutungen, Enzephalitis, Meningitis
  • Psyche: Depression, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Psychose, Hysterie
  • allgemeine Erkrankungen: Migräne, Narkolepsie
Komplikationen
  • Sturzfolgen: Frakturen, Wunden
  • Pneumonie (Aspiration)
  • Status epileptikus
  • hirnorganische Schäden
Therapie

Bei einem einzelnen Krampfanfall: keine Behandlung, Betroffene vor Verletzungen schützen, Auslöser meiden:

  • bei akutem Anfall: Patienten aus der Gefahrenzone bringen, vor Verletzungen schützen (weiche Unterlage, Helm), nach dem Anfall in die stabile Seitenlage bringen, Freihalten der Atemwege
  • Allgemeinmaßnahmen: Ursache beseitigen (Arzt), ausreichend Schlaf, keine Über-/Unterforderung, Fieber frühzeitig behandeln, Flackerlicht meiden (Kino, Disco), Ausdauersport
  • Ernährungstherapie: regelmäßige Essgewohnheiten, Alkohol meiden, ketogene Diät (fettreich, kohlenhydratarm)
  • Medikamentöse Therapie: akut: Benzodiazepine (Valium®), Antikonvulsiva, Langzeittherapie mit Antiepileptika, GABA-Analoga
  • Operative Therapie: Entfernung der Lokalherde, Vagusnervstimmulation
Prognose 50- 80 % der Patienten werden unter guter Einstellung anfallsfrei.

Sonderfall:
Status epilepticus
Anfall über mehr als 20 Minuten oder mehrere aufeinander folgende Anfälle:
  • Ursachen: akute Infekte, Alkohol, Medikamente
  • Symptome: Todesursache meist: Atem-/Herzstillstand, Hirnödem
  • Komplikationen: Temperaturanstieg, Aspiration, Hirnödem, Gehirnschäden

 

Krämpfe
Tonische Anhaltende Muskelkontraktionen (Pyramidenschäden)
Klonische Schnell aufeinander folgende Kurze Zuckungen (Tetanus, Durchblutungsstörungen)
Lokalisierte Krämpfe einiges Muskeln/-gruppen

 

  Epilepsie Kollaps Schock
Hypoglykämie
Krämpfe Tonisch-klonisch kurz ja ja
Bewusstlosigkeit Mit Atemstillstand kurz Erst nach Schocksymptomen Länger anhaltend
Erwachen Spontan Schnell Langsam, wenn überhaupt Kein Erwachen
Zusatzsymptome Aura, Initialschrei, Nachschlaf Schwindel Schocksymptome, Schwindel, Übelkeit Kaltschweißig, zittern

 

Notfall

Notfallmaßnahmen bei der Epilepsie:

  • Anruf: Notarzt
  • Allgemeinmaßnahmen: Patienten beruhigen, beengende Kleidung entfernen, zudecken, nicht alleine lassen (vor Verletzungen schützen, aber nicht festhalten)
  • Lagerung: stabile Seitenlage
  • Vitalzeichenkontrolle: engmaschig
  • Zusatzmaßnahmen: Atemwege freihalten/sichern, evtl. Sauerstoffgabe, i.v.- Zugang
  • Cave: Sicherheit gewähren (Gegenstände entfernen), keine Flüssigkeiten/Medikamente oral, Dauer des Anfalls notieren
Cave
Epileptische Anfälle, die erstmals bei einem über 25-Jährigen auftreten können erste Symptome eines Hirntumors sein.
Merke
Ein Grand mal-Anfall zeigt keinen Meningismus, keinen Nystagmus und keine Hyperventilation.

ff