Definition |
Bei der Epilepsie handelt es sich um einen Sammelbegriff für verschiedene Funktionsstörungen des Gehirns, bei denen die Erregung überschießt
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Definition der International League Against Epilepsy |
- mindestens zwei epileptische Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden
- nur ein nicht- provozierter Anfall tritt auf, aber die Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle in den nächsten 10 Jahren lieg bei mindestens 60 Prozent
- es liegt ein Epilepsie-Syndrom vor
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Weitere Bezeichnungen (Synonyme) |
- Fallsucht
- Krampfleiden
- Epilepsia
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Einteilung |
- nach Ursachen:
- symptomatische Epilepsie: durch Hirnschädigung, z.B. Schädel-Hirn-Trauma (ca. 5–15%), Enzephalitis, Multiple Sklerose, Hirntumoren (ca. 8–22%), perinatale Schäden (ca. 10–14%), Schlaganfall, Blutung, Infektionen, Vergiftungen, Alkoholismus, Urämie, Hypoglykämie
- genuine Epilepsie (ca. 50% der Fälle): durch familiäre Belastung (hereditäre Epilepsie), frühkindlicher Hirnschaden oder ohne erkennbare Ursache (vor dem 20. Lebensjahr)
- nach Anfallstyp:
- generalisierte Anfälle: es gibt keinen Hinweis auf eine anatomische Lokalisation des Ausbruchs des Krampfes, der Anfall findet in beiden Hemisphären statt
- Gelegenheitskrämpfe: einmalige oder seltene Krampfanfälle (1–2/Jahr) meist im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Schlafentzug, Flackerlichtstimulation (Fernsehen, Diskothek); kann bei jedem Menschen, auch ohne Epilepsie, auftreten
- Grand mal („großes Übel“), Petit mal („kleines Übel“): übersteuerte Spontanentladungen der Nervenzellen im gesamten Gehirn, vorausgehende Hinweise (Prodromalzeichen, Aura), keine anatomische Störung nachweisbar
- fokale (partielle) Anfälle: der Anfall spielt sich in einer bestimmten Region des Gehirns ab und beschränkt sich auf das Gebiet (auf bestimmte Muskelgruppen begrenzte, von einem bestimmten Bezirk der Hirnrinde ausgehende Anfälle)
- mit motorischen Störungen: atonische/ klonische Anfälle, Automatismen
- ohne motorische Störungen: autonome Anfälle
- multiple Anfallsformen: generalisierte und fokale Anfälle treten bei einem Patienten auf
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Unterteilung |
- generalisierte Krämpfe:
- benigne Neugeborenenkrämpfe: vererbt oder auch nicht, Anfälle während des 2-7. Lebenstages, mit Atemstillständen, klonisch Zuckungen, bessern sich spontan
- Absence-Epilepsie: meist im Kindesalter, kurze Abwesenheitszustände (5- 15 Sec.), Erinnerungslücke, gute Prognose
- juvenile myoklonische Epilepsie: in der Jugendzeit, kurze Muskelzuckungen (Arme, Schulter), Bewusstsein bleibt erhalten, führen zu Tonischen Krämpfen
- Epilepsien auf Reize: durch visuelle Reize (Flackerlicht, Videospiele)
- symptomatische Epilepsien: nach Gehirnschädigung (Infektionen, Schädel-Hirn-Trauma), Stoffwechselerkrankungen, Tumoren/chronische Infektionen im Zentralnervensystem
- fokale Krämpfe:
- Schläfenlappenepilepsie: durch temporale Sklerose, aufsteigende unangenehme Gefühle in der Magengegend, Bewusstseinsverlust, Handbewegungen (Medikamente, Operation)
- Stirnlappenepilepsie: kurze Anfälle (v.a. im Schlaf), Verwirrtheit nach dem Anfall fehlt (Medikamente)
- Scheitellappenepilepsie: Missempfindungen (Taubheitsgefühl, Kribbeln), selten Schmerzen (Medikamente)
- Hinterhauptslappenepilepsie: visuelle Halluzinationen (blitzende Flecken, geometrische Figuren), Blindheit, selten Augenbewegungen
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Pathogenese |
Die Kommunikation der Neurone im Gehirn ist gestört, wodurch es zu überschießenden Nervenimpulsen (synchronen Entladungen von Neuronengruppen im Gehirn) kommt, die Fehlfunktionen am Körper auslösen
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Auslöser |
- allgemeine Auslöser: Schlafentzug, Überanstrengung, starke Sonneneinstrahlung, Stress, Fieber, Flackerlicht
- Krankheiten: schwere Infektionen, Stoffwechselstörungen, Kopfverletzungen, Hirntumoren, Hypoglykämie, Hypokalzämie
- Noxen: übermäßiger Alkoholkonsum, Drogen, Medikamente (Penicillin), Vergiftungen, Impfungen
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Ursachen |
- Eexogene Ursachen:
- Allgemein: Gehirnverletzungen, Schlafentzug, Alkohol- / Medikamentenentzug, Geräusch-/Lichtblitze (Computer, Disco), psychische Erregung, Hypoxie
- Medikamente: Lidocain, Tuberkulostatika, Theophyllin, Lokalanästhetika, Antihistaminika, Antidepressiva, Neuroleptika
- Drogen, Vergiftungen
- endogene Ursachen:
- Stoffwechselstörungen: Hypoglykämie, Elektrolytentgleisungen (Hypokalzämie), Urämie, hepatische Enzephalopathie
- ZNS-Erkrankungen: Schädel-Hirn-Trauma, Tumoren, Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess, zerebrovaskuläre Erkrankungen (embolische Hirninfarkte, Blutungen), Multiple Sklerose, degenerative ZNS-Erkrankungen
- Fieber
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Symptome |
- Allgemeinsymptome: Zuckungen, Krämpfe, Stereotypsien, Bewusstseinstrübungen, vegetative Störungen
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Symptome: Generalisierte Krämpfe (großes Übel), generalisierter tonisch-klonischer Anfall |
Vorkommen beim Erwachsenen:
- Prodromalstadium (Stunden-Tage vorher): Reizbarkeit, Schwäche, Verstimmung, Kopfschmerzen
- Aura (10-15%): sensorische Sensationen (Gefühl, Geruch, Geschmack, Lichtblitze), können Hinweis auf die betroffene Hirnregion geben
- tonische Phase (Verkrampfung), Dauer 10-30 Sek.:
- tonischer Schrei („Initialschrei), Hinstürzen (durch Bewusstseinsverlust 95% der Fälle), Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur (evtl. geöffnete Augen und Mund)
- tonische Krämpfe mit überstreckten Beinen („versteifen“), gebeugten oder gestreckten Armen
- vegetative Symptome: Blutdruck-Anstieg, Tachykardie, fehlende Lichtreaktion der Pupillen (Augenstarre), Apnoe mit Blaufärbung (ca. 20–30 Sec.), Blässe
- konische Phase (Zuckungen), Dauer 30-50 Sek.:
- rhythmische Muskelzuckungen an ganzen Körper einhergehend mit forcierter Ausatmung und Austritt von schaumigem (bei Zungenbiss auch blutiger Speichel)
- Schaum vor dem Mund (Zungen-/Wangenbiss), Patient schnappt nach Luft
- Einnässen (35% der Fälle)
- Abklingphase
- stundenlanger Schlaf („Terminalschlaf“), Dämmerzustand
- Patient erinnert sich nicht an Anfall (Amnesie für die Dauer des gesamten Krampfanfalles)
- Pupille weit/starr, Muskeleigenreflexe fehlen, Babinski positiv
- später
- Kopfschmerzen, Muskelkater, Benommenheit
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Symptome: Petit mal (kleines Übel), generalisierte Anfälle, v.a. Kinder, Säuglinge |
Vorkommen: v.a. bei Kindern, Säuglingen:
- Absenzen:
- Dauer 5–15 Sek. bis zu 100x/Tag meist nach Aufwachen oder am Vormittag, v.a. Kinder: 6–10 Jahre; unauffälliges Verhalten zwischen den Anfällen
- Allgemeinsymptome: flüchtige Anfälle von Bewusstseinstrübungen, ruckartige Bewegungen des Kopfes, Arme, Beine (verlieren Gegenstände, Knallen mit dem Kopf auf)
- Blässe, starrer, abwesender Blick und häufig Innehalten der Tätigkeit (die Betroffene reagieren nicht auf Umweltreize)
- kurz andauernde Bewusstseinsstörungen ohne motorische oder vegetative Störungen (Sekunden-Minuten, Patient wird nicht ohnmächtig)
- Automatismen: ruckartige Bewegungen von Kopf, Armen, Beinen (verlieren Gegenstände, Knallen mit dem Kopf auf)
- Blitz-Nick-Salaam-Syndrom (3-8 Monate):
- bedingt durch Hirnschädigungen und Stoffwechselerkrankungen; schlechte Prognose
- ruckartige (Blitz) Vorwärtsbewegung des Kopfs (Nick)
- blitzartige generalisierte Muskelzuckungen, langsame tonische Verkrampfungen, Kopf-/Oberkörperbeugung
- Einschlagen des Arms vor die Brust (wie beim Salaam-Gruß)
- Bewusstseinstrübung
- Myoklonischastatische Anfälle (ab 4.Lebensjahr): schlechte Prognose bei frühem Beginn:
- plötzlicher Tonusverlust (Kind stürzt wie vom Blitz getroffen zu Boden)
- Muskelzuckungen oder Atonie
- Beugung der Arme
- Bewegung von Muskeln des Gesichts und Munds
- Impuls-Petit-mal- Krämpfe (12-18.Lebensjahr): erstmals in der Pubertät (genetisch bedingt), gute Prognose
- massive Muskelzuckungen,
- Patient stürzt nicht
- leichte Bewusstseinsstörung
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Symptome: Fokale Anfälle |
Nur einzelne Hirnareale sind von der epileptischen Erregung betroffen, die Symptome beschränken sich auf diese Region, das Bewusstsein bleibt erhalten. Diese Anfälle können in jedem Lebensalter einsetzten und meist durch hirnorganische Veränderungen sekundär generalisieren:
- einfache fokale Anfälle: Zuckungen und/oder Parästhesien in der vom betroffenen Hirnbezirk versorgten Körperregion (z.B. Hand)
- Jackson Epilepsie: motorisch und sensible Anfälle, die an bestimmten Körperregion beginnen, breiten sich dann über eine Körperhälfte aus, erhaltenes Bewusstsein (evtl. aber auch nur Missempfindungen die sich über den Körper ausdehnen)
- Adversiv-Anfälle: typische Wendebewegungen; Patient blickt zur Seite, dreht den Kopf zum angehobenen Arm und verharrt in dieser „Fechter-Stellung“
- komplexe motorische Anfälle: entwickeln sich aus einfachen fokalen Anfällen, zusätzlich Bewusstseinsstörung; z.B. psychomotorische Epilepsie: nach einer Aura kommt es zur Bewusstseinstrübung, Dämmerzustand kurz oder über Tage
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Diagnose |
Anamnese: Augenzeugen, Erinnerung des Patienten (Aura), Beginn/Dauer des Anfalls, Einnässen/-koten, Verletzungen beim Anfall (Zungenbiss), Familienanamnese, auslösende Faktoren, Vorerkrankungen (zerebrovaskuläre Erkrankungen, Schädel-Hirn-Trauma, Meningitiden, Tumoren, frühere Anfälle, Fieberkrämpfe) Labor: Blutbild, Blutzucker, Leberenzyme, Elektrolyte, Kreatinin, Gerinnung, Urinstatus Apparative Diagnostik: EEG, CT, Liquor, MRT, Magnetoenzephalographie
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Differentialdiagnose |
- Krämpfe: Gelegenheitsanfall, Fieberkrampf bei Kindern, psychogene Anfälle
- vasal: Synkopen, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt
- pulmonal: Hyperventilations-Syndrom
- Entgleisungen: Hypoglykämie (Müdigkeit, Zittern, Schweißausbruch), Hypokalzämie, Hypernatriämie, Alkoholentzug, Vergiftungen
- zentral: Halluzinationen, Tetanie, Tumoren, Blutungen, Enzephalitis, Meningitis
- Psyche: Depression, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Psychose, Hysterie
- allgemeine Erkrankungen: Migräne, Narkolepsie
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Komplikationen |
- Sturzfolgen: Frakturen, Wunden
- Pneumonie (Aspiration)
- Status epileptikus
- hirnorganische Schäden
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Therapie |
Bei einem einzelnen Krampfanfall: keine Behandlung, Betroffene vor Verletzungen schützen, Auslöser meiden:
- bei akutem Anfall: Patienten aus der Gefahrenzone bringen, vor Verletzungen schützen (weiche Unterlage, Helm), nach dem Anfall in die stabile Seitenlage bringen, Freihalten der Atemwege
- Allgemeinmaßnahmen: Ursache beseitigen (Arzt), ausreichend Schlaf, keine Über-/Unterforderung, Fieber frühzeitig behandeln, Flackerlicht meiden (Kino, Disco), Ausdauersport
- Ernährungstherapie: regelmäßige Essgewohnheiten, Alkohol meiden, ketogene Diät (fettreich, kohlenhydratarm)
- Medikamentöse Therapie: akut: Benzodiazepine (Valium®), Antikonvulsiva, Langzeittherapie mit Antiepileptika, GABA-Analoga
- Operative Therapie: Entfernung der Lokalherde, Vagusnervstimmulation
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Prognose |
50- 80 % der Patienten werden unter guter Einstellung anfallsfrei.
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Sonderfall: Status epilepticus |
Anfall über mehr als 20 Minuten oder mehrere aufeinander folgende Anfälle:
- Ursachen: akute Infekte, Alkohol, Medikamente
- Symptome: Todesursache meist: Atem-/Herzstillstand, Hirnödem
- Komplikationen: Temperaturanstieg, Aspiration, Hirnödem, Gehirnschäden
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