Anästhesie
Kinderanästhesie - allgemeine Besonderheiten

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Kinderanästhesie – allgemeine Besonderheiten

Kindernarkose; Ein Kind ist kein kleiner Erwachsener. Es bestehen anatomische, psychologische, physiologische und biologische Unterschiede zu diesem. Je kleiner das Kind ist, desto größer sind die Unterschiede. Diese müssen bei der Durchführung einer Narkose berücksichtigt werden

Begriffe
  • frühgeborenes Kind: Geburt vor der 37. Schwangerschaftswoche
  • neugeborenes Kind: vom 1. bis zum 28. Lebenstag, 3 -6 KgKG
  • Säugling: vom 1. Lebensmonat bis zum 12.Lebensmonat, 6 -14 KgKG
  • Kleinkind: vom 1. bis zum 5. Lebensjahr, 14 – 20 kgKG
  • Schulkind: vom 6. bis zum 14. Lebensjahr, über 20 kgKG
  • Jugendliche: vom 15. bis zum 18. Lebensjahr
Atmung
  • Atemwege:
    • Luftwege (Stimmritze, Trachea): eng (hoher Atemwiderstand) => Schwellungsgefahr, Atelektasenbildung
    • Zunge: groß => schwierige Intubation, Verlegung der Atemwege
    • Mund: hyperplastische Tonsillen, vergrößerte Adenoide => schwierige Intubation
    • Zähne: Vorsicht ab dem 7. Lebensjahr auf wackelige Zähne => Aspirationsgefahr
    • Hals: kurz => einseitige Intubation
    • Kehlkopf: hochstehend (2 HWK höher als beim Erwachsenen), Epiglottis groß und U-förmig => Reklination des Kopfes kann zur Verlegung der Atemwege führen
    • die engste Stelle im Kehlkopfbereich befindet sich bis zum 8. Lebensjahr unterhalb der Stimmritze, nicht zwischen den beiden Stimmbändern
    • Trachea: Verlauf nach ventral, nur 4 cm lang beim Neugeborenen => Tubus muss während der Intubation rotiert werden
    • Schleimhäute: leicht verletzbar => Ödem
    • Hauptbronchus: rechter und linker entspringen im Winkel von 55 Grad => einseitige Intubation
    • Thorax: leicht beweglich => Gefahr der Überblähung, Obstruktion der oberen Atemwege (inspiratorisches Einziehen des Sternums)

  • Atmungsparameter:
    • Atmung: vor allem durch die Nase
    • Behinderung der oberen Atemwege: schnell durch eine mechanische Reizung oder Infektion
    • endotracheale Intubation: schwieriger, Druck auf den Kehlkopf nötig, so sanft als möglich, die schwarze Tubusmarke soll kurz unterhalb der Stimmritze liegen
    • Tubusdislokalisation: häufig, mehrmals während einer Intubation die richtige Lage kontrollieren
    • Closing capacity: bei Unterschreitung kann es zum Kollaps der Luftwege kommen
    • alveoläre Ventilation: doppelt so hoch wie beim Erwachsenen (100- 150 ml/ Kg/ Min.) => schnelle inhalative Narkoseeinleitung, aber wenig Sauerstoffreserven (Hypoxie!!)
    • pulmonale Compliance: niedrig
    • Surfactant: bei Frühgeborenen meist erniedrigt => Ateminsuffizienz
    • Atemfrequenz: höher
    • Atempausen: bis 20 Sekunden kommen nach der Narkose vor
    • Atemzeitverhältnis: I:E = 1: 1 bei Spontanatmung
    • Atemminutenvolumen: höher als beim Erwachsenen
    • Atemwegsdruck: Plateaudruck bei ca. 15 mbar
    • Atemtechnik: Neugeborene und Säuglinge atmen überwiegend mit dem Zwerchfell (Bauchatmung) => aufgeblähtes Abdomen (Maskenbeatmung) kann bedrohlich werden
    • Atemsteuerung: das Atemzentrum reagiert auf einer Kohlendioxid- Anstieg besser als auf eine Hypoxie, ausgekühlte Kinder sprechen auf Kohlendioxidüberhaupt nicht an
    • Atemtätigkeit: leicht beeinflussbar durch metabolische Azidose, Hypothermie, Hypoglykämie und atemdepressorische Medikamente
    • Sauerstoff: leichte Aufnahme durch hohes HB, aber schwere Abgabe ans Gewebe
    • Sauerstoff- Verbrauch: 6ml/Kg/Min. (doppelt so hoch wie beim Erwachsenen. Erst ab 8- 10 Jahre ist der Verbrauch gleich dem Erwachsenen)
    • Kohlendioxid-Produktion: 6ml/Kg/Min. (doppelt so hoch wie beim Erwachsenen. Erst ab 8- 10 Jahre ist der Verbrauch gleich dem Erwachsenen)
    • Vagotonus: erhöht => vermehrte Speichelsekretion
    • Apnoetoleranz: umso geringer wie das Kind jung ist
Alter Atemfrequenz
Neugeborenes 40- 60/ Min
Säugling 30- 60/ Min
3 Jahre 30- 40/ Min
10 Jahre 20/ Min
Herz- Kreislauf
  • Ductus Botalli/ Foramen ovale: schließen sich 10- 15 Stunden nach Geburt, sie sind jedoch erst nach 4- 6 Wochen/ 3 – 12 Monate anatomisch verschlossen, das heißt, dass diese sich in dieser Zeit wieder öffnen können (Rechts-Links-Shunt) => geschieht vor allem bei Hyperkapnie, Azidose, Hypoxämie, Sepsis
  • Kreislauf: zentralisiert => keine Reserve in der Peripherie bei Volumenmangel
  • Vagotonus: erhöht => Bradykardieneigung bei Stress/Hypoxämie, leichtes Kammerflimmern
  • kardiovaskuläre Kompensationsbreite: deutlich eingeschränkt
  • Herzfrequenz: hoch
  • Blutdruck: niedrig
  • Intubation: Gefahr von Bradykardien
  • Verringerung des HZV: kann nur durch eine höhere Frequenz ausgeglichen werden => schlechte Anpassung bei Volumenmangel
  • Bradykardie: es muss immer zuerst eine Hypoxämie ausgeschlossen werden
  • Blutdruckmessung: Breite der Manschette beachten
  • Blutvolumen: 0- 85 ml /KgKG

Alter Herzfrequent Blutdruck systolisch Blutdruck diastolisch
Frühgeborene 120- 170 50 +/- 3 30 +/- 2
Neugeborene 115- 150 70 +/- 8 50 +/- 5
6 Monate 100- 140 90 +/- 30 60 +/- 10
1 Jahr 100- 140 95 +/- 30 65 +/- 25
2-4 Jahre 80- 130 100 +/- 25 65 +/- 20
5- 9 Jahre 80- 100 100 +/- 15 65 +/- 10
10- 14 Jahre 70- 90 115 +/- 20 60 +/- 10
Temperatur
  • Gefahr des Wärmeverlustes: => Bradykardie, Apnoe, Kammerflimmern; Ursachen:
    • große Körperoberfläche (je kleiner der Pat. desto größer die Körperoberfläche)
    • der Kopf ist sehr groß
    • geringe Hautdicke (wenig Fettgewebe)
    • feuchte Haut bei kalter Klimaanlage/kalte Unterlage

  • Muskelzittern: können Kinder erst ab 6 Jahre, deshalb auch keine Wärmeerzeugung dadurch
  • Wärmeproduktion: bei den Neugeborenen nur durch Metabolismus im braunen Fettgewebe
  • Normothermie: bei der Ausleitung einer Narkose, sonst Nachbeatmung
  • Hypothermie:
    • Folgen:
      • Herz- und Atemfrequenz: es sinken Herzfrequenz/ Herzzeitvolumen/ Atemfrequenz => vermehrter Abbau von Glucose, Aminosäuren und Fettsäuren => Gefahr der Hypoglykämie und metabolischen Azidose
      • Sauerstoffbedarf: steigt => Atemdepression, Krämpfe
      • pulmonaler Gefäßwiderstand: steigt (offenes Foramen ovale, offener Ductus Botalli !!!)
      • Medikamentenabbau: verlangsamt
      • Noradrenalin: ansteigend

    • Maßnahmen:
      • erst kurz vor OP- Beginn das Kind entkleiden
      • Abdeckphase so gering als möglich halten: Kinder in Watte einwickeln und mit Wärmedecken zudecken (den Kopf nicht vergessen! => Mütze)
      • Erhöhung der Raumtemperatur auf 26 - 28 Grad Celsius: der Bereitschaftsdienst hat die Aufgabe bei der Technik am Vortag anzurufen und die Temperatur für den nächsten OP- Tag im entsprechenden OP, in dem ein Kind operiert wird, zu erhöhen => ersichtlich am OP- Plan
      • Kinder- Heizmatte/ Warmluftgebläse verwenden
      • warme Infusionen und chirurgische Spüllösungen
      • anwärmen und anfeuchten der Beatmungsluft
      • bei Kleinkindern immer die Temperatur messen (Ohr, Ösophagus, Rektum)
      • postoperative Kleidung in den Wärmeschrank geben
      • Bett mit Wärmflasche (bei der Nachsorge auf der Kinderstation)
Blut
  • Blutvolumen: bei Kindern im Verhältnis zum Körper größer
  • Hb- Konzentration: bei Neugeborenen hoch, danach niedrig => mehr/schneller Aufnahme von Sauerstoff
  • Hb- Abfall: gesunde Kinder vertragen einen von 20 % (berechnet vom Ausgangs- Hb)
  • kritischer unterer Hb-Wert: Neugeborene 12 g/dl (Hkt 35%), Säuglinge 10 g/dl (Hkt 30%), Kinder ab 1 Jahr 7-8 g/dl (Hkt 25%)
  • Blutverluste: geringe können schon zu einem lebendsbedrohlichen Volumenmangel führen
  • Bluttransfusion: ab akuten Blutverlusten von 20% des Blutvolumens, unterschreiten der kritischen unteren Hb-Werten; 3ml/kg KG eines Erythrozytenkonzentrats hebt den Hb-Wert um ca. 1g/dl

Alter Hb (g/dl) Hkt (%) Blutvolumen (% KG)
Frühgeborene 18 - 20 50 - 55 8,5
1 Monat 14 40 8,5
3 Monate 11 33 8,5
1-6 Jahre 12 35 8
7-14 Jahre 14 40 7,5
Stoffwechsel
  • Grundumsatz: 2- bis 3-mal so hoch wie beim Erwachsenen
  • Hypoglykämie: Frühgeborene neigen dazu, unter Stress kann es dazu kommen, unterer Normwert bei ca. 40 mg/dl => das Kind hat wenig Energiereserven => Glukoseinfusion, regelmäßige Blutzuckerkontrollen
  • Medikamentenabbau: verzögert
Wasserhaushalt
  • Wasserumsatz: höher
  • extrazellulär Wasserhaushalt: bei Kindern unter 2 Jahren höher als beim Erwachsenen
  • geringere Konzentrationsfähigkeit: es wird mehr Wasser zum Ausscheiden von harnpflichtigen Substanzen benötigt => rasche Dehydratation bei Flüssigkeitsverlusten
  • perioperativer Flüssigkeitsbedarf:  höher als beim Erwachsenen (große Körperoberfläche, geringe Konzentrationsfähigkeit der Nieren, höherer Grundumsatz), durch isotonische Vollelektrolytlösungen (in den erste 2-3 Lebensjahren mit Glukose); Frühgeborene 180 ml/kg/Tag, Neugeborene/Säuglinge 100 -120 ml/kg/Tag, Kleinkinder Frühgeborene 1800 ml/kg/Tag
  • Wasserausscheidung: bei Überfluss an Wasser im Körper unzureichend => Ödembildung
  • Flüssigkeitsverluste: werden sehr schlecht toleriert
  • Natriumhaushalt: nur schlechte Regulation => Wasserbelastung wird nur schlecht toleriert
  • hochmolekulare Flüssigkeiten: geringe Filtration => starke Kumulation
  • Infusionen: genaue Einstellung der Tropfgeschwindigkeit: Tropfenzähler, Infusomat, Perfusor => Cave: Infusionen nie im Schuss laufen lassen
  • Urinproduktion: 1-2 ml/kg/Stunde
  • Elektolytüberprüfung: engmaschig bei hohem Flüssigkeitsumsatz
Alter Wasser (ml/kg/h) Natrium (mmol/kg/d) Kalium (mmol/kg/d)
Frühgeborene 6 3 2
Neugeborene 5 2 2
Säuglinge 5 2 2
1-6 Jahre 3 1,5 – 2,0 1,5 – 2,0
7-10 Jahre 2 1-2 1
11- 14 Jahre 70- 90 1-2 0,5 – 1,0
Pharmakologische Besonderheiten Oral zugeführte Substanzen werden vermindert oder verzögert aufgenommen, da die Leber ihre Funktion noch nicht voll aufgenommen hat:

  • Babiturate: Kinder reagieren sehr empfindlich auf sie, die Biotransformation und die Ausscheidung sind verzögert
  • Propofol: Kinder brauchen eine höhere Dosis als Erwachsene
  • Opiate: stärkere Atemdepression als beim Erwachsenen, Wirkung unter Umständen verlängert
  • Hypnotika:  langsamer Ausscheidung
  • Benzodiazepine: Wirkung verlängert
  • Ketamin: höherer Verbrauch (Dosis, vermehrte Nachinjektion)
  • Muskelrelaxantien: höherer Verbrauch
  • Inhalationsnarkotika: schnellere An- und Abflutung, höhere Konzentration nötig, MAC-Werte höher
  • Sauerstofftoxizität (Neugeborene FiO2 > 50%): retrolentale Fibroplasie